Samstag, 14. November 2009
Tarantino, die Deutschen und die Mode


Wer den schönen Film "Inglourious Basterds" gesehen hat, weiss es, der deutsche Mann ist gradlinig und komplex.

Tatsächlich kann man Tarantinos Meisterwerk im Subtext als vergleichende Charakterstudie nationaler Stereotype lesen. - Der gradlinige und heldenhaft schillernd eindimensionale Amerikaner - Brad Pitts Lt. Aldo Raine -, Mike Myers leicht sphärischer britischer Inselmensch - wunderbar zurückgenommen und gerade nicht vordergründig schrullig - und die Masse an Teutonen, gerade nicht kriegsfilmgenretypische Achtung-Fritz-Schlachthausbürokraten, sondern ganz eigenartig komplexe, polyglotte Wesen, in denen der eitle Befehlsempfänger ebenso schimmert wie der Zweifler, der virtuose Kulturspieler ebenso wie der letztendlich allzu berechenbare und tumpe Vertrauenstrottel.

Diese wunderbar subtile und originelle Bestandsaufnahme nationalkultureller Spezifika, wir denken, dass sie in der Zukunft noch einiges an Würdigung finden wird... - Doktorarbeiten und Habilschriften werden über diesen Aspekt in Tarantinos Werk geschrieben werden, gerade auch weil in unserer globalisierten Welt die neue Gemeinsamkeit das Studium alter Verschiedenheiten besonders interessant werden lässt. Sei es, um ihre Robustheit zu erforschen, sei es, um sich ihrer - quasi im Rückspiegel - noch einmal zu vergewissern.

Eine mittlerweile allzu abgekaute und - weil man in der Modewelt immer gerne alles abkaut und ausser dem Nachbeten aktueller Stildiktate oder dem eifrigen Austausch diverser Einstecktuchfalttechniken eh nichts zu bieten hat - ist die bekannte Plattitüde "Der deutsche Mann ist besser als sein Ruf". - So, und was ist dran, am alten Knabberbrötchen?



Aus unserer Perspektive - und durch Tarantinos ethnologische Brille betrachtet - folgendes: Na klar oszilliert der deutsche Mann in seiner schillerndsten Form zwischen ungeheurem Qualitätsverständnis und multidimensionaler Detailversessenheit einerseits und einer absonderlichen Steuerbarkeit und Trendhörigkeit andererseits.

Kein kurzatmiger Modewitz - das Fünfknopf- oder das Einknopfjackett, die zu engen oder die zu weiten Jeans - der nicht in schöner Ernsthaftigkeit informiert aufgenommen und zeitgleich brav in die Breite getragen würde. - Kein Geschichtchen über sogenannte 'inneren Werte' - über bestimmte Fertigungstechniken, Materialbeschaffenheiten und Pflegetechniken - das nicht als 'Geheimwissen' im zurückgehaltenen Plauderton tiefster Bedeutsamkeit unter Eingeweihten ausgetauscht würde.

Na klar ist der deutsche Mann besser als sein Ruf, denn er hat sich die Frivoldomäne Mode mit allem Ernst und angeeignetem Sachverstand erarbeitet. Im Ausland erkennst Du ihn nicht selten an der besonnenen Ausgesuchtheit seiner Garderobe. - Hier weiss einer ganz genau, was er trägt, welche Marken, welche Geschichtchen - und sie hüllen ihn in einen quasi siegfriedschen Unverwundbarkeitspanzer. - Selbstbewusst in Modebewusstsein.

Berlinern sollte man das eigentlich nicht sagen - sie werden es nur falsch verstehen - aber dem deutschen Modemann, ihm stünde etwas mehr Schnodderigkeit, etwas virtuose Vernachlässigung, etwas mehr Humor, Selbstdistanz und Leichtigkeit nur gut.

Und hier unterscheidet sich klassisch Englisch von klassisch Deutsch ganz gewaltig.
Das Englische an der englischen Haltung ist ja gerade die Abwesenheit des Vorhersehbaren und die Negation aller Vorhersehbarkeit. - Ein bisschen schlampig, ein bisschen abgetragen, ein bisschen ausgewachsen, ein bisschen rotes Karo mit blauen Punkten. - Es sind die Kombinationen von Unkombinierbarem, es sind die permanenten Brüche, die immer zusätzliche Ebenen mitliefern und Festlegung und Bestimmbarkeit unmöglich machen. - Es ist, wie es ist, für einen lustigen Moment und könnte immer auch ganz anders sein.



Wer jemals durch die Strassen von New York gelaufen ist, dem wird das ungeheure Qualitätsverständnis der New Yorker aufgefallen sein. Ein Qualitätsverständnis, das nur deshalb erträglich ist, weil es von der Blasiertheit der Weltmetropole getragen wird. Ein feinnerviger Metasnobismus, den Wes Anderson in seinen Filmen so wunderbar abfeiert (und den wir auch aus diesem schönen tumblr unseres Freundes Byron kennen http://swimmingpool.tumblr.com )... - Diese Weltläufigkeit, man kann sie in Deutschland - wie überall sonst, wo nicht New York ist - nur ganz vereinzelt finden. Die Regel ist das nicht.

Aber gerade das deutsche Qualitätsbewusstsein, es schreit nach Erlösung, Vermittlung und Erträglichkeit.
Ein Lachen bitte, etwas Quirkiness, etwas, das mir zeigt, dass Du zwar vieles weisst und manches kannst, aber bitte, bitte nicht alles ernst nimmst. - Und vorallem nicht Dich selbst.

"Comic relief" nennen sie das in England. - "Chelsea Farmer's Club" nennen wir es.

Uns Deutschen steht das gut zu Gesicht. Es ist sogar in gewisser Weise absolut zwingend.
Dem sagenhaften Siegfried hätten schon ein kleinwenig muntere Irritation, etwas Wahrnehmungs- und Oberflächenverschiebung, das Leben gerettet.


http://www.chelseafarmersclub.de/

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